Fragen an Johannes Eisenhut, CEO Senn Development. Von Michelle Nicol
Mein Name ist Johannes Eisenhut. Ich bin von Haus aus Germanist und seit 10 Jahren in der Immobilienentwicklung tätig. Ich darf die Firma Senn Development AG leiten. Wir entwickeln, realisieren und vermarkten Immobilien mit architektonischem Anspruch in den Regionen Zürich und Basel. Vorwiegend grosse Arealüberbauungen und Immobilien, bei denen wir viel Wert auf Architektur, Baukultur und radikale Nachhaltigkeit legen.
Das ist eine grosse Frage. Die Beziehung zur Architektur ist immer persönlich, weil man ja auch drin lebt. Als ich in die Immobilienentwicklung einstieg, wo es oft um Investitionen und Geld geht, stellte ich fest, dass oft nach ganz anderen Kriterien entschieden wird als im Privatleben. Da ist ein interessanter Gap. Die Produzenten sind weit von den Nutzern entfernt, weil sie nicht diejenigen sind, die darin leben.
Es gibt verschiedene Anekdoten. Der Anti-Epiphanie-Moment war vielleicht, als ich in Baden das Gymnasium besuchte. Die Kanti Baden ist ein Altbau von Fritz Haller, einem berühmten Schweizer. Der Neubau der Kanti wurde von einem namenlosen Architekten realisiert – man könnte es eine architektonische Sünde nennen. Trotzdem mochte ich damals den Unterricht im Neubau lieber. Weil ich den Haller-Bau als kalt empfand und im Neubau die Wände schön farbig waren. Wenn ich heute auf das Areal gehe, denke ich: Wow, wie anmutig und klar die Bauten von Fritz Haller sind. Damals hätte wohl niemand gedacht, dass ich mich zum Architekturliebhaber entwickle.
Eine Epiphanie erlebte ich, als meine Frau und ich ein eigenes Haus suchten. Dann wird man erst zum Architektur-Konsumenten. Als mietender Student*in oder junger Arbeitstätige*r ist es wichtig, dass die Wohnung in einem guten Quartier liegt und bezahlbar ist. Ich wohnte lange mit Daniel Freitag an der Anwandstrasse in Zürich. Wir waren stolz darauf, das hässlichste Gebäude der Strasse zu bewohnen. Wir sagten: Wenn wir rausschauen, sehen wir nur die schönen Häuser. Gehst du als Käufer*in auf den Markt, überlegst du: Was ist schön? Was ist ein guter Lebensmoment? Ich begann mich für Architektur zu interessieren, las Bücher, recherchierte. Lustig war, dass wir tatsächlich ein Haus fanden, das unserer Serviettenzeichnung bei Rotwein nahekam. Unsere Vorstellung war nicht edel, mehr so ein 70er Jahre Experiment.
Johannes Senn, Inhaber der Firma Senn, hat in Zürich Oerlikon das Noerd für die Freitag Brüder gebaut und das Zwicky Süd in in Dübendorf entwickelt. Meine damalige Firma war seine Kreativagentur. Als er mich später einlud, bei ihnen in der Entwicklung zu arbeiten, fragte ich mich: Was bedeutet es, wenn ich statt Kampagnen Immobilien entwickle? Wie fühle ich mich der Umwelt gegenüber verantwortlich? Mache ich Dinge, auf die ich stolz sein kann? Das war ein wichtiger Moment, und ich realisierte: ich kann das kontrollieren. Johannes Senn ist jemand, der mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen kann. Wir sind kommerziell orientiert – aber halt nicht nur. Und darin liegt wahrscheinlich die Kultur.
Das Thema Baukultur ist breiter. Baukultur ist nicht nur das Objekt, sondern hat viel mit einer Kultur der Zusammenarbeit zu tun. Bei Senn haben wir ein internes Motto: die Liebe zum Ort. Wir müssen uns in einen Ort verlieben. Nur dann haben wir die richtige Motivation, ihn zu entwickeln. Wir müssen zum Glück keine Projekte annehmen, die uns von Anfang an langweilen. Das habe ich schon als Werbeagentur gelernt. Ich musste mich immer in das Produkt eines Kunden verlieben, bevor ich ihm die richtigen Ideen geben konnte. Man darf nicht zynisch sein, wenn man entwickelt. Sonst bleibt Gift im Produkt.
Ich setze mich mit dem Ort auseinander und gehe redlich auf ihn zu. Liebe entsteht aus der Beschäftigung mit etwas – you love what you know. Ich muss mich auch mit seinen Bewohnern, seinen Nachbarn, mit der Gemeinde, redlich beschäftigen. Ich muss verstehen, was sie wollen. Und erst dann entwickle ich, was wir wollen. Darin liegt Kultur: je mehr Realitäten dein Projekt umfasst und je mehr Menschen involviert sind, desto mehr Akzeptanz und Wertschätzung erfährt es. Das ist auch ein Mehrwert für denjenigen, der den ganzen Aufwand betrieben hat und das finanzielle Risiko eingegangen ist.
Wenn man eine Kultur in der Entwicklung pflegt, ergibt sich daraus ein Mehrwert. Im Gegensatz zur verbreiteten Vorstellung vom Immobilienentwickler, der sich im System durchsetzt und Klötze hinstellt, die keiner will. Das ist ein altes Bild. Es gibt mittlerweile so viele Regulierungen, Normen, Verfahren, Gestaltungspläne, Stadtbildkommissionen, dass ein Betonkopf keine Chance hat. Ich finde das gut.
Schaue ich in die Konsumgüterindustrie, stelle ich fest: Architektur ist unterbewertet. Zum Beispiel die Mode: Bernard Arnault, der reichste Mann der Welt, verkauft Design. Wenn ich den Preis-Unterschied zwischen seiner Louis Vuitton Tasche und einer Tasche von Liebeskind berechne, dann sind das Welten, non? Was ist mit einem Haus von Peter Zumthor? Kann ich es für das Zehnfache verkaufen wie ein Haus von einem guten Architekten, der nicht dasselbe Renommee hat? Nein. Weil ein Haus ein teures Konsumgut ist und der Preis für die meisten Menschen existenziell. Dennoch ist Architektur unterbewertet.
Unsere Projekte zeigen, dass das, was man an Qualität investiert, später in Franken retourniert wird. Es gibt also einen Return on Investment. Dasselbe gilt für radikale Nachhaltigkeit - die Menschen, die drin wohnen, können sich als Teil der Lösung präsentieren und das muss ihnen etwas Wert sein. Wenn mensch ein Auto, eine Tasche, einen Anzug kauft, ist das nicht nur eine Frage des Fadens, sondern eine Frage des Lebensgefühls. Das gilt auch für Gebäude und Räume.
Architektur ist etwas wert – und damit meine ich nicht nur den Strich, sondern auch die Marke. Ein renommierter Architekt mit einem guten Entwurf schafft häufiger einen bleibenden Wert. Ein Gebäude, das womöglich nie abgerissen werden muss, und zum Kulturgut wird. Ein Denkmal von morgen. Ärgerlicherweise bin ich gerade kürzlich wieder auf zwei Bauten gestossen, von Big Name Architekten entwickelt, vielleicht 15 Jahre alt, die man strenggenommen abreissen müsste. Sie sehen schön aus, sind aber unbrauchbar. Was ist passiert? In beiden Fällen gab ein selbstverliebter Auftraggeber einem Star-Architekten den Auftrag, seinen Sitz zu gestalten. Diese Gebäude sind in Zukunft für niemand anderen nutzbar.
Da kommen wir wieder zur Baukultur. Wie ein guter Film in Zusammenarbeit zwischen Produzent, Autor und Regisseur entsteht, so entsteht auch ein gutes Gebäude im Austausch von Bauherr, Entwickler und Architekt. Es braucht mehrere informierte Parteien, um etwas herzustellen, das einen überdauernden Mehrwert hat. Und ja, das hat auch mit Nutzungsflexibilität und langfristiger Rentabilität zu tun.
Es gibt die Erklärung von Davos für eine hohe Baukultur weltweit und es gibt die Stiftung Baukultur Schweiz. Da ist ein gewisser Hype. Das sieht man daran, wie inflationär das Wort „Baukultur“ verwendet wird.
Als Gründer von Poeticwalls beschäftigt euch natürlich die Frage: Ist Architektur virulent? Und noch wichtiger: Sind Architektur-Marken virulent? Die Erfahrung zeigt: Es spielt eine Rolle, wer gezeichnet hat. Als St. Galler Entwickler arbeiten wir in Basel mit Herzog & de Meuron. Das sorgt tatsächlich für eine hohe architektonische Qualität, weil dieses Büro mit viel Umsicht, Fleiss und Intelligenz ans Werk geht – ihr Anspruch an sich selbst ist sehr hoch, auf allen Hierarchiestufen. Und: ihre Architektur öffnet Türen. Das ist banal, aber wertvoll. Man ist schneller bei den Behörden, es ist einfacher in der Vermarktung, wenn ich auch nicht viel mehr Geld verlangen kann.
Genau. Dann kommt auch bei den Nutzern Begehren ins Spiel. Man reflektiert dann nicht mehr nur m2-Preise, sondern auch Schönheit, Prestige eines Gebäudes, seine Wirkung auf Mitarbeiter, Kunden, Geldgeber, und so weiter. Man kriegt Lust.
Der Begriff Star-Architekt stört mich. Herzog & de Meuron etwa empfinde ich nicht so. Sie leisten sich eine Forschungsphase, die zusätzliche Kosten verursacht. Auch die Stundenansätze sind tendenziell höher. Und dann gibt es das Thema der Detailversessenheit. Aber die Honorare sind nicht der kritische Punkt, die Details in der Umsetzung sind es. Deshalb braucht es gute Führung. Der Architekt kann sich auch mit kostensensitiven Lösungen profilieren. Da ist Herzog & de Meuron eben auch sehr gut. Ich kenne sie nicht als Starbüro, sondern als Forschungsgruppe von stilsicheren, intelligenten Menschen.
Ich habe mich in den letzten Jahren mehrheitlich mit der Schweiz beschäftigt. In der Schweiz ist es wahrscheinlich Basel. Basel ist ein Nest der Baukultur. Aktuell sind in der ganzen Schweiz raumplanerische Aspekte wichtig. So entstehen Rahmenbedingungen für qualitative Architektur. Die Städte mit Zukunft pflegen eine bessere Baukultur nicht im Objekt-Sinne, sondern im Sinne des Zusammenlebens und Zusammenwebens der Stadt.
Ein wichtiges Element. Es gibt den Return on Investment, wenn man ein tolles Gebäude kauft und dann verkauft. Der volkswirtschaftliche Mehrwert von guter Architektur hingegen, der steht auf einem ganz anderen Blatt. Wenn du einem Nachbarn erzählst, ich baue hier mit einem guten Architekten, dann weiss er/sie, dass auch sein/ihr Grundstück an Qualität und Wert gewinnen wird. Er freut sich. Wenn Du dann weitergehst und auch gute Nutzungen bringst, kann sich ein ganzes Quartier dadurch qualitativ weiterentwickeln. Wir wollen Gebäude entwickeln, die Menschen und Orte besser machen. Gute Architektur schafft es, einen Ort zu Glorifizieren. Das ist nicht dasselbe wie Gentrifizieren.
Wir planen mit Herzog & de Meuron eine Wohnüberbauung in Affoltern am Albis. Das Projekt nennt sich «AAA» - die Abkürzung von Affoltern am Albis. Aber auch, weil es sehr hohen Nachhaltigkeitsstandards entspricht. Unser Claim lautet: Die bestmögliche Version der Stadt Affoltern am Albis initialisieren. Auch darum geht es bei der Baukultur.